6 - An meinen Haaren

An meinen Haaren möchte ich sterben
von SOPHIE REYER
Ein Theaterpoem mit imaginären Bühnenbildern von Harald Häuser
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Stille. Schneeprinzessin ist wütend, beginnt, sich die Haut mit einem Reibeisen abzuschaben. Es regnet kleine weiße Flöckchen.

Manga Auge (Märchenerzählerin): Kennen sie das Märchen von den Schneeprinzessinnen. Das geht so: Warum schneits in der Winterzeit so helle Flockenwirbel, fragen die Kinder.
Sind die Prinzessinnen, denen tut das Herz so weh, sag ich.
Die hocken auf den tausenden Matratzen, denn zerbrechlich sind ihre Glieder, sie brauchen es weich, das will man ihnen gestatten.
So hoch wie Wolkenkratzer ihre Betten. Die Pirnzessinnen stoßen mit ihren fragilen Köpfchen fast am Himmelsende an. Autsch.
Da oben weht ein leichter Wind. Ansonsten ist es still. Die Prinzessinnen kratzen sich ihre marmorne Haut mit einem Reibeisen auf. Langsam und bedacht.
Die hellen Plättchen segeln runter vom hohen Bett. Wie Käse auf die Pasta segelt. Nur weißwieschnee. Die vielen Fussel zellophaner Haut. Sie machen kleine Flöckchen. Fasrige Striemen im Winterlicht. Die purzeln runter in feinem Regen. Da freuen sich die Kinder. Da lachen alle Menschen.
Die Prinzessinnen raspeln also weiter. Sie raspeln sich ab. Zuerst die eine Hand. Dann die andere. Bis ihre Glieder ganz gerieben sind. Nur noch die Knochen übrig bleiben. Die sind so weiß wie ihre Außenhaut. An denen wird dann weiter geritzt.
Wirklich.

Schneeprinzessin: Ich bin eine Prinzessin. Es gibt mich nicht.

Paue.

Schneeprinzessin: Mama.

Queen of the Biomacht: Ja.

Schneeprinzessin: Mir ist langweilig.

Queen of the Biomacht: Dann spiel mit deinen Plüschmaschinen.
Spiel mit Teddymacho.

Schneeprinzessin: Mag nicht.

Mama.

Queen of the Biomacht: Ja.

Schneeprinzessin: Was wenn ich mal runter geh.
Ich mein: zur Erde.
Und leb.
Wie die anderen.
Weißt.

Queen of the Biomacht: Ach nein.
Fang nicht mit dem Leben an.
Leben ist anstrengend.
Leben tut weh.
Leben stellt dir ein Bein.
Leben legt dir ein Ei, das faul wird. Weil im Leben alles vergeht.  
Leben steckt dich in die Tasche.
Und dann bist du weg.

Dogge, Remote- Control und Reptilienrapper im Chor:
Warum fressen, wenn man wieder scheißt.
Warum sich waschen, wenn man wieder dreckig wird.
Warum heute ficken, wenn man morgen wieder ficken muss.
Warum schlafen, wenn man danach immer noch müde ist.
Warum einatmen, wenn man wieder ausatmen muss.
Warum leben, wenn man stirbt .

Wenn man trinkt, muss man pissen.
Wenn man frisst, muss man scheißen.
Wenn man schläft, wird man müde.
Wenn man wach ist, tut alles weh.  
Wenn man rausgeht, muss man wieder reingehen.
Wer einatmet, muss ausatmen.
Wer lebt, muss sterben.
Wer sichs warm macht der friert.
Wer liebt der verliert.
Die Liebenden sind Verlierer.
Also sind die Lebenden Verlierer.

Weinen ist anstrengend.
Lachen ist anstrengend.
Atmen ist anstrengend.
Ficken ist anstrengend.
Lieben ist anstrengend.
Pissen ist anstrengend.
Sterben ist anstrengend.

Wer die Augen schließt, der hat Augen.
Wer spricht, hat eine Zunge.
Wer das Herz ausspuckt, hat ein Herz.
Wer stirbt, der ist am Leben.
Wer sich stark fühlt, der hat Angst.

Angst ist anstrengend.
Angst ist anstrengend.
Angst klammert.
Angst macht Angst.

Fang nicht mit dem Leben an.
Leben ist anstrengend.
Leben tut weh
Leben stellt dir ein Bein
Leben legt dir ein Ei, das faul wird. Weil im Leben alles vergeht.  
Leben steckt dich in die Tasche.
Und dann bist du weg.


3. Szene

Queen of The Biomacht:  Biometrische Darstellungsformen eines Wahnsinnigen. Humangenetisches Screening et Cetera. Bin ich im Besitz meiner eigenen Genome? Leben steckt dich in die Tasche. Ich hab ein Patent für seine Zellen, in Ordnung. Nix mit Leibeigenschaft über seinen eigenen Leib. Schnee von Vorgestern, Watte gesponnen. Wetten. Wir sind Körpergewebebanken, beweg uns nicht, bitte. Dein partialer Suizid ist meine eigene Angelegenheit, Sweet little Biomachine. So sorry.

Die Titten sind zwei Tumore. Die Lust rumort in dir. War doch was sich von Delphinen ficken  
zu lassen. Wo es doch nicht mehr ums Vermehren geht. Weder von Sich noch von Sinn. Was bleibt ist ein Wort zwischen das Atmen der Andren gefugt, so nebenher. Heißt: Wohin.  

Wir haben uns/ Androide/ auf silbernen Planeten verirrt. Wir rechen den Sinn aus  
Interstellarem. Weißwieschnee. Ich trag meine Augen an den Handinnenflächen, trau dich mir zu. Ich habe auch Angst. Und ein Monster Hybrid mit Flügeln, an die Ideale gekreuzigt siehst du nur Schuppen Körper ohne Gesicht. In Kokons verpuppt, was ein Gott ist: Gute, alte Dunkelheit.  

Die Menschen- Hersteller Spaltprodukte Halbwertszeit Reaktor. Ach, Queen of the Biomacht.
Ach.
Schart euch um mich.
Ihr Präparatoren,
ihr Vogelgerippe,
ihr Mottenmaschinen
ihr Reptilienrapper,
Dogge und Remote Controll, meine
wandelnde Fernbedienung. Ich brauche
Bedienung.

Dogge: Stets zu Diensten.

Remote- Controll: Geliebte Queen.

Präparatoren: Of the Biomacht.
Auf, o Biomacht.
Dass es nur so kracht.
Onanieren.
Beautylieren.
Genmanipulieren.
Strangulieren.
Cruzifixieren.
Rinden wachsen.
Lippen bauschen.
Kerne spalten.
Strahlenkater.
Nicht verraten.
Bilderbürger.
Brav im Rahmen.
Bilder flimmern.
Ware machen.
Fluoride.
Gene spritzen.
Korn verbieten.
Herz verbieten.
Beauty queen.
Spiel verbissen.
Vitaminshake.
Tode hungern.
Vogerl machen.
Bäume basteln.
Dann erhängen.
Nieder brennen.
Riesen Schwammerl.
Strahlen Kater.
Herzens Kotze.
Straßen Trümmer.
Alpha Beta.
Gamma. Schwammerln.
Die verätzten.
Alle essen.
Runter würgen.
Krebs im Magen.
Karzinome.
Haut aufätzen.
Bleibt nix über.
Als die Rasse.
Unsere Krasse.
Queen of the
Biomacht.

Queen of the Biomacht: Jaja. Hab meine hunderten Fangarme schon nach euch ausgestreckt,
meine Lieben.

Dogge: Ich seh sie betrübt.

Präparator1: Seh sie sich verbiegen.

Reptilienrapper Ritter 1: Was liegt auf dem Herzen der Reptilienqueen?

Queen of the Biomacht: Das Kind ists.

Ritter 1: Der Bohnen Klon.

Remote- Controll: Die Rotzgöre.
Was stört sie schon wieder die Schönheit der Queen?

Queen of the Biomacht: Ach das Kind. Widerspenstig ists.

Präparator1: Und der Teddy Macho, den wir ihr präpariert?

Queen of the Biomacht: Den liebt sie nicht wirklich.
Sie will zu den Sternen.
Will runter zur Erde.
Ist Naseweis, Wühlhirn.
Ich weiß auch nicht weiter.

Ritter 1: Verstehe. Ich dachts mir.

Queen of the Biomacht: Warum?

Ritter 1: Traf vor Kurzem eine Märchenerzählerin, genannt
Manga Auge.

Remote- Controll: Wie die in den Comics.
Oder.

Dogge: Genau. Und wau. Die haben wir auch
ausgelöscht. Diese japanischen Riesenaugen.
Die schauen jetzt nur mehr aus Rinden raus.
Sind Bäume geworden.
So sorry.

Queen of the Biomacht: Die Erzählerin.
Führt sie vor. Sofort.

Remote- Controll: Stets zu Diensten, my dear little Queen.

Manga Auge wird in den Saal gebracht.

Queen of the Biomacht: Was weißt du über meinen Tochter Klon,
Glotzauge du? Die du alles sehen musst und in deinen Erzählungen wieder
käuen, armes Kind? Weißt du mehr? Was bewegt unsere Schneeprinzessin.
Die Queen ist am Ende ihrer Kräfte. Ehrlich.

Manga Auge: Niemand kriegt ein Kind. Dem Kind wird es an nichts fehlen, es wird alles haben. Ehrlich.

Dogge: Erkläre dich. Du stehst vor der Queen.

Remote- Controll: Und wie das möglich ist. Dass Niemand ein Kind kriegt.

Manga Auge. Niemand kriegt ein Kind. Niemand, die gestorben ist. Niemand, die aufgeplatzt ist wie eine Wunde. Niemand war einmal eine Frau aus Salz. Niemand ist ins Meer gegangen. Niemand kriegt ein Kind.
Wie soll Niemand davon erzählen.

Präparator1: Man weiß nicht. Komm zur Sache, du Glubscher.

Manga Auge: Witze machen kann Niemand nicht. Weil da, wo Niemand ist, keine Sprache ist.
Tut mir leid. Aber nein, auch das ist falsch. Es gibt nämlich die Sprache der Fusssohlen, des Atemholens. Windsprache, Schlucksprache, Lichtsprache.
Sprache der Sonne.
Sprache der Schattenwürfe.
Da, wo Niemand ist.

Queen of the Biomacht: Das klingt interessant. Lasst sie reden.

Reptil 1: My little Queen. Und die Schneeprinzessin?

Manga Auge. Niemand sitzt und ist Klang.
Eine Frau hört den Klängen zu, würde man sagen.
Aber:
Nein. Eine Frau ist verschwunden. Eine Frau gibt es nicht. Körpergefäß, Fäden aus Welt. Der Verlust des Splitters.
Wer bist du?
Niemand.
In ihrer Mitte ist ein Loch und atmet.

Queen of the Biomacht: O. Wie in den Gesichtern der Menschen. Die wir ausgebrannt. Durch das Schwammerl. Hehe. Also weiter.

Manga Auge. Niemand wird versorgt.

Queen of the Biomacht: Oje.

Manga Auge. Niemandes Kind wird alles haben, was es braucht.

Queen of the Biomacht: Bist du sicher?

Manga Auge: Als Niemand eine Frau war, hatte sie große Angst. Als Niemand denken konnte, machten die Gedanken unerträglichen Lärm.

Ritter 1: Wie ist das passiert?

Queen of the Biomacht: Halt die Fresse, Reptilienrapper.

Manga Auge. Das Salz der Außenhaut, es wurde einfach weggespült. Aufgelöst. Die Mutter weggebrannt. Loch aus Licht. Hinter den Gedanken kauerten Klänge, Geräusche, orientierungslos, Sätze bohren sich in den Verstand hinein, lass mich.

Queen of the Biomacht: Wer ich?

Manga Auge: Niemand.

Queen of the Biomacht: Aha.

Manga Auge. Hinter der Grenze.
Und es gibt kein zurück.
Und kommt nicht wieder.
Niemand kommt nicht wieder.

Queen of the Biomacht: Was kann Niemand einem Kind beibringen?

Manga Auge: Schneckensprache,
Windsprache,
Feuersprache,
Grassprache.

Queen of the Biomacht: Also: Nichts.

Manga Auge: Die große Angst.
Als Niemand sich nicht mehr von der Musik unterscheiden konnte, oder von den Meeres Wellen, den Licht Spitzen Läufen der Sonne.
Was ist los, fragten sie Niemand.
Doch das war nicht die richtige Frage.
Die richtige Frage war: Wem ist es los.
Dem Salz?
Dem Meer?
Und wo ist die Frau geblieben?

Queen of the Biomacht: Eben. Ehrlich. Das ist schon ein Problem.

Manga Auge: Der Weg zu Niemand führt durch das Ich, das es nicht gibt,
Unort.
Gedankengrenze.

Pause. Dogge beginnt, zu schnarchen.

Und mit dem letzten Aufwachen war sie dann weg gewesen, die Angst. Angstklammern abgelegt.

Remote Controll: Wie kann aber Niemand nur Mutter sein? Wie ist das möglich?

Manga Auge: Ich weiß nicht.

Queen of the Biomacht: Und was heißt das für uns?

Manga Auge: Die sehenden Augen. Sie deuten nicht. Werten nichts. Heben nichts auf.

Dogge: Ausrede.

Remote- Controll: Ehrlich.

Queen of the Biomacht: Wie wertet ihr das?

Präparator1: Wird eine kommen, heißts. Aus dem Menschen Blut.

Queen of the Biomacht: Ich dachte, die hätten wir abgemurkst?
Dass eine überlebt hat?

Dogge: Schön möglich.

Remote- Controll: Bei Fuß, dummer Hund.

Dogge: So sorry.

Queen of the Biomacht: Fahr fort.

Präparator1: Heißt das: Eine wird kommen. Wird schwanger. Keiner weiß noch, von wem. Weil es Niemand ist.

Queen of the Biomacht: Versteh nicht.

Präparator1: Vielschichtig sprechen die Seher. Die Riesen Augen. Auch wenn sie nur aus Comics sind. Sehen sie mehr. Das Leben bleibt ein Geheimnis. Also sagen wir: Eine wird schwanger. Ein Menschen Rest Mädchen. Mal schnell an den Fäden der Realität geschraubt, wer auch immer.

Queen of the Biomacht: Das kann doch nur ich. Noch schlimmer.

Präparator1: Diese Niemand kriegt ein Kind, das nicht aus der Bohne kam. Also kein Klon ist. Nicht aus dem genetischem Material der Reptilienrasse geknetet. Die auf dem hohlen Mond wohnt. Und die Deluxe- DNA die wir aus den Körpern der letzten Menschen ausgesondert. Die blauen Bluts. Sie verstehen?

Queen nickt.

Präparator1: Gut.

Queen of the Biomacht: Heißt das, die Zeit der Elite ist immer noch gefährdet.
Nach all der Anstrengung.
Präparieren.
Essens Kapseln.
Karzinome.
Atom Waffen.
Alles umsonst.

Dogge: Noch ist Niemand nicht geboren.

Remote- Controll: Niemand heißt doch nur die Mutter. Dummer Hund.

Queen of the Biomacht: Hab jetzt Kofpweh. Was das Ganze. Mit der Tochter.
Schneeprinzessin Schlangenhaut. Wohl zu tun hat?

Präparator1: Weiß ich auch nicht. Manga Auge?

Manga Auge: In den Sternen stehts geschrieben, dearest Queen.

Queen of the Biomacht: Kill all starlight! Sag ich!

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