13 - An meinen Haaren

An meinen Haaren möchte ich sterben
von SOPHIE REYER
Ein Theaterpoem mit imaginären Bühnenbildern von Harald Häuser
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9. Szene
Die Schneeprinzessin kommt zu der Sphinx. Der Arm ist der Sphinx anscheinend weggebombt worden, sie hält die sechsfingrigen Hände in heiliger Pose hoch, hin von sich. Das lilafarbene Haar von einem breiten Kranz umrandet. Die kohleschwarzen Augen.

Schneeprinzessin: Wow.
Du bist Torso.
Bist du tot?
Hast einen Löwenfuß.
Sag, lebst du?

Sphinx: Ich leb so wie du.
Ehrlich.

Ein Schwanz baumelte von der Sphinx herunter und zu Boden. Sie hat halbseitig den Körper eines Supermodels.

Schneeprinzessin: Was ist mit deiner anderen Körperhälfte, sag?

Sphinx: Der Rest zerfressen von Zeit.

Schneeprinzessin: Du bist so schön. So weit.

Sphinx: Das scheint so.
Wegen der Weisheit.
Weißt.
Hab hunderte Hände am Rücken versteckt, ähnlich den Facetten Augen der Libellen.
Meine Haut Marmor. Um den Bauchnabel herum allein eine rote Markierung: Ein halber Ring.
Das war das Leben, das ich im Kreis gelebt hab.

Schneeprinzessin: Was heißt das?
Egal.
Deine Brüste sind runde, apfelförmige Ausbuchtungen, stehend, stramm.
Die Beine lang.
Bist du nackt unterm Umhang?

Sphinx: Ich versuch, die vielen Hände, die mir aus dem Rücken wachsen, zu verbergen.

Schneeprinzessin: Warum?

Sphinx: Es ist gefährlich, so Sphinx zu sein.

Schneeprinzessin: Ehrlich?

Sphinx: Sehr.

Schneeprinzessin: Und die Frau da?

Sphinx: Ist meine Mutter.

Schneeprinzessin: Ach so.

Sphinx: Hab aber nur kurz mit ihr gelebt.
Die ist dann getötet worden.
Man hat mich ein einen Palast gebracht. Zu der Queen of the Biomacht.

Schneeprinzessin: Aber deine Mutter. Die sitzt doch immer noch da.

Sphinx: Weil sie meine Wahrheit ist.
Das ist alles.

Schneeprinzessin: Was?

Sphinx: Du bist traurig.  

Schneeprinzessin: Die dich in den Palast gebracht hat, das ist meine Mutter.
Die Queen of the Biomacht.

Sphinx: Du bist noch nicht Niemand.
Aber das macht nichts.

Schneeprinzessin: Was heißt das?

Sphinx: Am Rande vom Eis hinterm Uffstern da wohnt ein erleuchteter Drache.
Oder ists ein Hase.
Oder ein Pirat.
Na egal.
Jedenfalls: Der weiß was zum Halten gegen die Traurigkeit.

Scheeprinzessin: Woher kommt die?

Sphinx: Vom Kopf der jetzt sagt und jetzt sagt und trotzdem nicht da ist.

Schneeprinzessin: Meine Mutter, die ist so böse.

Sphinx: Woher weißt du das?
Wir alle sind Niemand.
Wir sind leere Boote.
Sind Worte ohne Kopf.
Sind Sterne im Raum, die ineinander verwoben ein Netz bilden gegen die Zeit.
Wir sind Puppen in Puppen und rollen aus einander heraus.
We are in one another.
Aber das ist auch schon vorbei.
Also mach kein Theater.

Schneeprinzessin: Wer war denn mein Vater?

Sphinx: Den gabs nie.
Das ist das Problem.
Deine Mutter war Niemand.
Dann hat sie was geboren und sie dachte, es sei sie selbst.
Aber war nur eine Puppe in der Puppe in der Puppe.
Und war eine mächtige Wutpuppe.
Die wollte die Weltherrschaft haben.
Und hat die Niemand in sich vergessen.

Schneeprinzessin: Aber sie ist gefährlich.

Sphinx: Ihr Pech.
Das Ich stirbt aus.
Und auch die Queen.
Und die Rasse, die weiter lebt, stirbt auch irgendwann.
Und die Sterne.
Guck, meine Mutter ist ausgestorben.

Schneeprinzessin: Aber sie ist noch da.

Sphinx: Ja.

Schneeprinzessin: Ich glaub, ich hab Kopfweh.
Ich sehn mich nach Ossa.

Sphinx: Du bist Ossa, je weiter du dich von ihr entfernst.
Du bist Ossa am Nullpunkt.
Du bist Ossa am Ende.
Und das Kopfweh, das kommt nur vom Denken.
Don´ t worry.

Schneeprinzessin: Bist du weise?

Sphinx: Nein.

Schneeprinzessin: Was heißt das.

Sphinx: Ich bin, wo die Weisheit sich selbst nicht mehr ausspricht.
Ich bin eine Quelle.
Ich kann dir nicht helfen.
Such den Erleuchteten Hasen.

Schneeprinzessin: Wen?

Sphinx: Aber pass auf, auch er ist eine Maschine.

Schneeprinzessin: Wie?

Sphinx: Ich bin müde.
Gut, dass ich soviele Hände hab.
Da kann ich mir selbst tausendfach den Rücken kraulen.
Und mich sogar zurück kratzen, wenn ich will.
Man ist schon sehr abgeschlossen in sich als Sphinx.

Schneeprinzessin: Gute Nacht.

Sphinx: Gutes wachen!
Aber vorher umarm ich dich noch.

Die Sphinx steigt vom Podest. Sie legt den Arm um die Prinzessin. Sie ist groß, schrecklich schön. Die Schneeprinzessin legt ihren Kopf an die rechte Achselhöhle der Sphinx.

Schneeprinzessin: Wie warm deine Haut ist, trotz des steinernen Leibes.
Wulian guck. Ich bin winzig neben der Sphinx.
Nicht.
Ich wollt ich könnt in sie hinein kriechen.

Sphinx: Pass auf. Irgendwann läufst du dir auch selbst über den Weg.
Und noch was: Befrei die Bohnen Embryonen.
Aus ihren Genomen.

Schneeprinzessin: Wo?
Wie soll ich das den machen?

Sphinx: Bohnensuppe.
Die Embryonen fressen.

Schneeprinzessin:Ich bin Vegetarierin.

Sphinx: Egal. Dann wird das gesamte genetische Material der Herrenmenschen das, was es
sonst auch werden würde: Scheiße.

Schneeprinzessin: Und dann?

Sphinx: Fängt alles neu an. Frag nicht so.
Jetzt aber gute Nacht.


10. Szene

Schneeprinzessin klaubt die Bohnen zusammen und zermanscht sie zu einer Art Bohnensuppe.

Schneeprinzessin: Embryonen. Bleibt in euren Bohnen.
Die Schönheit des Individuums lässt sich nicht Klonen.
Oder?
Drum Embryonen. Ihr sollt die Welt mit euren Zellen doch verschonen.
In meinem Darm könnt ihr jetzt wohnen.
Ihr überholten so perfekten Bohnen.
Wir können hier auch ohne euch uns mit der Welt verloben.
O yeah.

Sie isst die Bohnensuppe auf.

Vogerl: Was suchst du?

Schneeprinzessin: Ich such den Erleuchteten.

Vogerl: Falsch.

Schneeprinzessin: Was?

Vogerl: Deine Antwort ist falsch.

Schneeprinzessin: Aha.

Pause.

Und was such ich?

Vogerl: Du suchst dich.
Das heißt: Die Mutter in dir.

Schneeprinzessin: Wirklich?

Vogerl: Ja.

Schneeprinzessin: Na wenn das so ist. Dann bin ich hier falsch.

Vogerl: Du hast die Prüfung bestanden.

Wulian: Nur wer erkennt, dass er ihn gar nicht sucht, darf mit dem Erleuchteten reden.

Schneeprinzessin: Aha. Na dann.
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