12 - An meinen Haaren

An meinen Haaren möchte ich sterben
von SOPHIE REYER
Ein Theaterpoem mit imaginären Bühnenbildern von Harald Häuser
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Sie drückt auf eine Fernbedienung. Wir sehen Schneeprinzessin, die in der Trümmerlandschaft des Anfangs umher wandert. Wulian, der Hasendrache, hockt in einer Ecke und schnarcht.
Drei Reaktoren sind zu sehen. Kind tritt auf, mit Stümpfen anstatt Händen und einem weißen Laken vor dem Mund.  

Schneeprinzessin: Was riecht da so komisch?

Kind: Das sind Gräber.
Unter dir.
Ganz viele Hasen ohne Ohren wurden geboren.
Wir haben die hier vergraben.
Und Mama und Papa mit.
Aber das dürfen wir nur hier tun.
Denn da wuchern keine Bohnen Embryonen.

Sternenprinzessin: Und sonst?

Kind: Ist nicht mehr viel über.
Wir dürfen die Gesichter nicht zeigen.
Hab eine Mama gehabt der hab ich Maden aus der Haut gebissen.
Gleich neben den brennenden Bergen.
Aber hat nix geholen.
Sie ist trotzdem schon wieder nicht mehr.
Hab einen Onkel gehabt, der ist nur mehr ein Loch.
Oder zumindest da, wo früher ein Gesicht war.
Nur singen kann er noch immer.
Ehrlich.

Ein Hase ohne Ohren und ohne Augen hopst vorbei. Das Kind ihm nach, mit einem riesigen Messer.

Sternenprinzessin: Was machst da?

Kind: Das ist mein Job.
Ich ess die.
Dann zieh ich ihnen das Fell ab und tausch es.
Gegen einen Schuh oder gegen ein Feuerzeug.
Oder gegen ein Wasser auch.
Manchmal.

Es beginnt, den Hasen zu häuten und macht ein kleines Feuer.

Sternenprinzessin: Und die anderen.

Kind isst. Dann reicht es der Sternenprinzessin ein Stück. Die schüttelt den Kopf.

Kind: kauend Die haben mich ausgestoßen.
Weil ich war in der Kernzone des Schwammerls, des
großen explosiven Feuers. Mehr weiß ich auch nicht jetzt.
Später, als es noch die Schule gab, haben sie in einem Comic erzählt,
dass sei Mr. Pluto, der furzt soviel. Aber zum Glück scheißt er nicht.
Aber dann hat er doch geschissen.
Und das war ein riesiger Pilz.
Und in der Stadt wollt mich keiner mehr angreifen.
Und eine aus der Insel, die wollte hinaus heiraten.
Aber der Mann, der wollt sie nicht mehr dann.

Sternenprinzessin: Warum?

Kind: Ich weiß auch nicht.
Es hat mit dem Schwammerl der Queen zu tun.
Aber dann war die Stadt stumm.
Und dann war nicht nur das Dorf weg, sondern auch die Stadt.

Es rülpst.

Schneeprinzessin: Ach.

Das Kind entdeckt Teddymacho, steht auf und läuft ihm mit dem Messer hintendrein.

Teddymacho: Macho lassen!
Macho macht krach im Mund.
Macho ungesund gebraten!

Schneeprinzessin ignoriert deren Ringen und streift weiter, bis sie auf Daphybaum stößt. Sie löst die Spangen aus ihrem Haar.

Schneeprinzessin: An meinen Haaren
möcht ich sterben.
An meinem Schwanen
Hals mich erhängen.
In meinem engen
Mieder ersticken.
Vom Silikon meiner
Brüste erdrückt sein.
Vom Gerippe die Hüft
Haut zerritzt von der
Wimper der Gräte
verschluckt an mir
selbst an meinen
Haaren möcht ich
sterben.

Schneeprinzessin: Ossa. Ossa.

Sie kommt an einen Baum. Sie will sich strangulieren. Wulian wacht auf. Aber er ist ein Hase und kann nichts anderes tun, als immer wieder gegen den Baum anzurennen. Der Baum, Daphy, wacht auf.

Daphy: He. Hab schon eine Tote da hängen. Lass mich.

Schneeprinzessin: Ein Baum, der spricht?

Daphy: Ich war mal ein Mädchen. Und liebte ein Mädchen. Das haben sie an mir gekreuzigt. Schau.

Schneeprinzessin: Au.

Daphy: Ja, sag das lauter.
Nein, warte.
Sonst wachen noch die Reptilienrapper auf und killen dich.

Schneeprinzessin: Ich lieb auch ein Mädchen. Das ist tot jetzt. Das hatte Augen, so offen wie ein Meer.

Daphy: Alles verändert sich nur. Nichts stirbt für immer.

Schneeprinzessin: Und deine Liebe.

Daphy: Es gibt keine Zeit, da wo ich bin. Wir haben einander.

Schneeprinzessin: Heißt das Erinnerung?

Daphy: Vielleicht. Weißt, die Zeit verläuft horizontal. Die Liebe vertikal. Wenn du in sie eintauchst, bleibst stecken im Immer.

Schneeprinzessin: Versteh nicht.

Daphy: Lass das mit deinem Genick. Das mit dem Sterben erledigt das Leben.

Schneeprinzessin: Meine Mutter ist böse. Die Welt ist eine Trümmerhalde. Eine Mülllandschaft.

Daphy: Schon möglich.

Schneeprinzessin: Ich mag nicht mehr leben.

Daphy: Ich rat dir: Am Ende der Trümmerlandschaft, da lebt noch eine gebrochene Sphinx. Die gibt’s schon ganz ewig, viel länger als Atommüll und Biomacht. Die hat keine Nase mehr. Na egal. Als Weltwunder hat man sie mal betrachtet. Aber was wissen Menschen. Ist alles nur halb, wenn man ein Baum ist, sieht man viel klarer. Und ist endlich still.

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